Schweizerische Gesellschaft für Strahlenbiologie und Medizinische Physik
Société Suisse de Radiobiologie et de Physique Médicale
Società Svizzera di Radiobiologia e di Fisica Medica
Swiss Society of Radiobiology and Medical Physics

Bulletin 2/97 (August 1997)

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Eine Elefantengeschichte im Bürgerspital Basel

Den Namen Omari erhielt ich bei der Geburt als Elefantenbulle. Meine bereits vierjährige Erziehung im Zoo von Basel oblag dem bekannten Elefanten-Betreuer Herrn Behrendt, als ich vom damaligen Zoo-Direktor Prof. Dr. Lang für ein röntgenfotografisches Experiment im Bürgerspital Basel ausgewählt wurde. Wie kam ich zu diesem Privileg ?

Im Zeitraum der Jahre 1955-1968 wurden zum Zwecke hochwertiger Extremitäten-Röntgenaufnahmen an Menschen im Röntgeninstitut hauptsächlich die sogenannten Einzelpackungs-Filme verwendet, d.h. doppel-beschichtete Röntgenfilme mit vorwiegender Empfindlichkeit auf blaues Licht mit hohem Bromsilbergehalt in lichtdichter Verpackung in den verschiedenst

Um die Röntgendosis bei Aufnahmen zu senken, ohne an Wiedergabequalität zu verlieren, beabsichtigte der Röntgenfilmfabrikant, einen solchen Film mit einer 3-4 fachen Empfindlichkeit zu lancieren. Um Resultate dieses weiterentwickelten Filmes beim Anwender beurteilen zu lassen, wurden die Röntgenärzte um ihre Eindrücke gebeten. Diese wollten aber unnötige Strahlendosen an Menschen für Experimente und Qualitätsbeurteilungen ersparen und schlugen deshalb Aufnahmen bei einem geeigneten Tier vor.

Gute Beziehungen zwischen der Zoo-Leitung und verschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Röntgen-Institutes bestanden bereits. Sporadisch mussten an Tieren im Zoo mittels einer transportablen Röntgeneinrichtung aus dem Röntgeninstitut durch Röntgen-Assistentinnen des Institutes Aufnahmen gemacht werden. Also wurde für den obgenannten Zweck die Zoo-Leitung um Mithilfe gebeten. Diese wiederum empfahl, das geeignete Tier samt Pfleger in das Röntgeninstitut des Bürgerspitals Basel bringen zu lassen. Prof. Lang konnte deshalb nur ein gut erzogenes Tier empfehlen; und deshalb kam nur ich - Omari - in Frage.

Nach meiner Wahl als einzigen Anwärter galt es, gemäss Spitalverwaltung und Röntgeninstituts-Leitung, noch diverse Vorbereitungen zu treffen und die Schaden-Versicherungsfrage abzuklären. Eine solche Versicherung für wenige Stunden über mehrere zehntausend Franken liess sich lediglich bei der Lloyd-Versicherung abschliessen. Ein Aufgebot der Reinigungs-Equipe für die anschliessende Reinigung und Desinfektion, wie sich noch herausstellen sollte, war dringend notwendig. Auch mussten Haustechniker wegen meines Gewichtes beim Eintritt über die Kontaktschwellen der Automatiktüren diese auf offen stellen und anschliessend prüfen, ob diese danach noch funktionierten. Das neue Röntgenfilmmaterial musste speziell auf das grösste lieferbare Format 35x43 cm abgepackt werden und v.a.m.

Technische Bedenken und Hindernisse bestanden für die geforderten langen Expositionszeiten bzw. ev. auftretender Bewegungsunschärfe, sowie für meine präziese Platzierung zwischen Strahlenquelle und Röntgenfilm. Die meisten Voraussetzungen wurden jedoch erfüllt, umsomehr als Prof. Lang mich als ruhiges und folgsames Tier empfehlen konnte. Der Experimentier-Tag wurde auf einen Samstag gelegt, um den Betrieb im Spital so wenig wie möglich zu stören.

In Begleitung meines Erziehers also gelangte ich auf kürzestem Weg vom Zoo durch die Stadt zum Eintrittstor im Hof des Spitals. Wie ein Gefährt musste ich, beaufsichtigt durch meinen Begleiter, die Verkehrsampeln beachten. Dieser Ausflug machte mir beim Hinweg viel Spass und verlief absolut glatt.

Vom grossen automatischen Eingangtor bis zum Aufnahmeraum Nr.16 erhielt ich zusätzliche Begleitung. Vom Eintritt bis in den Aufnahmeraum waren vier Türen zu passieren. Bei der einen konnte der Seitenflügel geöffnet werden. Bei einer weiteren konnten die elektrischen Bodenkontakte bei geöffneter Türe abgeschaltet werden. Meine Körpermasse brachten aber einige Probleme. Während meine Bauchbreite noch wenige Millimeter Platz in den Türbreiten zuliess, waren alle Türen in der Höhe für mein Ristmass als fast ausgewachsener Elefant ungeeignet. So kam es, dass mein Erzieher mir vorschlug, auf meinen Knien durch die drei Türen zu kriechen. Herr Behrendt konnte mit Stolz beweisen, mit welchem Gehorsam ich diese Schwierigkeiten meisterte. Im Röntgenraum angekommen, inspizierte ich mit meinem geeigneten Rüssel den Raum und sämtliche Taschen der beteiligten Personen. Leider verfügten nur zwei Personen über Belohnungshäppchen, sodass nur diese für mich wichtig erschienen. Die für frische Luft geöffneten Oblichtfenster waren geeignet, auch in der nahen Blumenrabatte mittels des Rüssels etwas "Grünfutter" zu ergattern.

Meine Fähigkeiten für Gehorsam und Erziehung musste ich nun aber erst bei den nun anstehenden Röntgen-Versuchsaufnahmen unter Beweis stellen. Es galt, ziemlich genau den gewünschten Körperteil - geplant waren Fuss und Rüssel mit Uebergang zum Kiefer - in der Achse von Strahlenquelle und Aufnahmefilm zu platzieren. Nun folgten Kommando um Kommando meines Erziehers. Beim Kommando Omari down ging ich zuerst mit beiden Vorderfüssen auf die Knie, stützte mich mit beiden vorderen, ca. 1,5 m langen Stosszähnen auf dem mit "Inlaid" belegten Boden ab und legte mich wunschgemäss auf die linke oder rechte Körperseite ab. Es war für mich ein mühsames Unterfangen, da ich selten die genaue Achse zwischen Strahlenquelle und dem unterlegten Film erwischte. Kaum lag ich zu Boden, kam deswegen das Aufstehkommando Omari up. Nach mehrmaligen Wiederholungen konnten die ersten Versuchsexpositionen vorgenommen werden. Bald wurde aber von den Verantwortlichen eingesehen, dass die geforderten 30-60 Sekunden Aufnahmezeit meine Geduld überforderten, und zudem zeigten sämtliche verarbeiteten Röntgenfilme Bewegungsunschärfe. Bei diesem fortwährend geforderten Aufstehen und wieder und wieder Hinlegen wurde es mir ein wenig mulmig, und alle Beteiligten meinten, ich sei nicht mehr so ruhig wie zu Beginn. Dies zeigte sich, indem ich plötzlich an Durchfall litt. Da hättet ihr sehen sollen, wie bei Technikern und Helfern plötzlich Bewegung aufkam. Mehrere blecherne Putzeimer, wie sie damals üblich waren, mussten mit Schaufeln und Besen raschestens gefüllt werden, denn für "Nachschub" sorgte ich fortwährend. Die "Ware" kam den Aussenrabatten als Düngemittel zugute. Dem Wortwechsel der beteiligten Aerzte, Techniker und Helfer konnte ich entnehmen, dass meine Unruhe auch ihnen zu schaffen machte und zu allem Unglück stiess ich beim Aufstehen mit meinem Kopf an das Lichtvisier des Röntgengerätes, was einen späteren Ersatz erforderlich machte. Für mich kam hierauf der Abbruch dieser Uebung. Beim Austritt waren auch meine kriechenden Bewegungen durch die Türen nicht mehr so ruhig, sodass "Berührungen" an meinen breitesten und höchsten Stellen - Bauch und Rist - die Tür-Ober- und -Seitenteile deutlich zum Erzittern brachten. Doch alles ging mehr oder weniger glatt. Ich bin überzeugt, dass Organisatoren, Aerzte und Helfer sehr froh waren, dass ich alle vier Türen unbeschadet passierte und endlich den Hof erreichte. Aus lauter Freude liess ich nochmals Dung zurück.

Nach diesem Besuch sehnte ich mich wieder in meine gewohnte Umgebung im Zoo zurück. Mein Erzieher musste mich beim Heimweg immer wieder zurückhalten, damit ich nicht in Trabschritt wechselte. Aber da waren mehrere dieser Verkehrsampeln, die zum Teil gerade auf Rot wechselten. Hierfür hatte ich wenig Verständnis. Herr Behrendt hatte trotz guter Erziehung mit seinem Stock mehr zu tun als ihm wahrscheinlich lieb war. Zusätzlich hielten unvernünftige andere Verkehrsteilnehmer - sogenannte Autos - sehr knapp hinter mir an.

So geschah es, dass ich durch meine Unruhe und meinen Vorwärtsdrang bei den Ampeln jeweils nicht ruhig stehen blieb, sondern kleine Schritte nach vorwärts unternahm, die mein Betreuer durch energisches Kommando "Stop" mit Hilfe des Stockes verhinderte. Dabei machte ich wiederum zwei oder drei Schritte rückwärts. In einem der Fälle genügte der Abstand des hinter mir aufgeschlossenen stehenden Autos nicht mehr, so dass ich mich gezwungen sah, kurz auf auf der vorderen Hälfte des Autos - es war glaube ich ein VW-Käfer - abzusitzen. Die Formveränderungen an diesem Auto waren deutlich zu sehen, und die seitlichen, vorderen runden Scheiben - sie werden von den Menschen als Räder bezeichnet - standen nicht mehr senkrecht, sodass das Fahrzeug abgeschleppt werden musste.

Im Zoo, meiner vertrauten Umgebung, angekommen, ging der übliche Tagesablauf wieder weiter, und mein Verdauungsapparat funktionierte wieder normal. Trotz einiger Unbequemlichkeiten hatte ich am Besuch des Röntgeninstitutes im Bürgerspital Basel viel Spass. Ich kann mir vorstellen, dass eine Wiederholung eines solchen Besuches so bald nicht mehr folgen wird und dies ein einmaliges Erlebnis war.

Etwa zwei Jahre nach diesem Besuch, nun der pupertären Zeit entwachsen, interessierte ich mich vermehrt um Kontakte mit den benachbarten Elefanten-Damen. Manchmal sonderten diese ein unwiderstehliches "Parfüm" ab, das mich aufforderte, in ihre Nähe zu gelangen. Doch Pfleger und Erzieher liessen dies nicht zu. Dies verärgerte mich zusehends, und ich reagierte mehrmals unwirsch, denn ich war mir meiner physischen Kräfte in letzter Zeit vermehrt bewusst. Mein Gehorsam liess in solchen Fällen nach, und ich versuchte diese leichtgewichtigen Menschen zur Seite oder an die Wände zu drücken. Für dieses "Durchsetzungsvermögen" hatten weder Pfleger, Ausbildner noch die Zoo-Leitung Verständnis, sodass ich vom Zoo Basel, den einmaligen Erinnerungen an den Besuch im Röntgeninstitut Basel und dieser Welt Abschied nehmen und wegen meiner Gefährlichkeit für Menschen in den Elefantenhimmel befördert werden musste. Gerne würde ich von hier meine Eindrücke wiedergeben, doch fehlen mir, trotz der neuesten Kommunikationsmittel der Menschen, die Uebermittlungmöglichkeiten.

Euer Elefantenbulle Omari

Anmerkung der Redaktion: Herrn Heinrich Leppert, einem ehemaligen Mitarbeiter des erwähnten Röntgenfilmherstellers, sei für seinen authentischen Bericht als Augenzeuge dieser ungewöhnlichen Episode ganz herzlich gedankt. Besondere Bewunderung gebührt dem Autor für seine Fähigkeit, diese Erinnerungen ganz aus der Sicht des Hauptdarstellers wiederzugeben.

top of page This page is maintained by Wolf W. Seelentag (Text by Heinrich Leppert). / Last updated 20 July 2007.
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